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Presse

24.07.2021

„Warum tragen Sie kein Kopftuch?“

Schwetzingen. Dass der neue baden-württembergische Finanzminister Danyal Bayaz nach der Geburt seines Sohnes rassistische Hasskommentare in den Sozialen Netzwerken wie „Pfui deibel, das arme Kind“ erhielt, hat Nezaket Yildirim (Foto: zg) sehr betroffen gemacht. Die Bundestagskandidatin der SPD im Wahlkreis Bruchsal-Schwetzingen ist wie der Grünen-Politiker türkischstämmig und selbst Mutter von zwei Kindern.

Yildirim sieht sich, wie sie sagt, im Alltag häufig Anfeindungen und Vorurteilen ausgesetzt. „Es gibt immer wieder kleine Sticheleien“, erzählt die 44-jährige Juristin und Projektentwicklerin für Wohnraum der RNZ und nennt konkrete Beispiele. „Können Sie überhaupt richtig Deutsch sprechen?“ oder „Warum tragen Sie kein Kopftuch?“ sind typische Fragen, die man ihr stelle.

In den Sozialen Netzwerken werde Rassismus noch deutlicher erkennbar: „Islamisierung Deutschlands“ oder „Erdogans Mädchen“ sind dort schon in Kommentaren über Yildirim aufgetaucht. In Wahlkampfzeiten steht sie noch mehr im Fokus der Öffentlichkeit – „sodass ich auch mit fremdenfeindlichen Reaktionen rechnen muss“. Bisher hat die Genossin noch keine Zunahme an Ressentiments festgestellt, dafür aber in der heißen Phase des Landtagswahlkampfs „unfassbare Entgleisungen“ mitbekommen. So seien großflächige Plakate der Pfinztaler SPD-Kandidatin Aisha Fahir mit Hakenkreuzen beschmiert und als Vandalismus verharmlost worden.

„Es wird höchste Zeit, Rassismus beim Namen zu nennen und angemessen dagegen vorzugehen. Schlimm finde ich insbesondere den Hass und die Hetze, der oftmals auch ehrenamtliche Kommunalpolitiker im Netz ausgesetzt sind“, sagt Yildirim.

Andere klischeebeladene Fragen wie „Schaffst du das überhaupt?“ oder „Woher kommst du wirklich?“ begleiteten sie, seitdem sie 1978 als einjähriges Kind mit ihren sogenannten gastarbeitenden Eltern nach Deutschland kam. An die Fragen habe sie sich nie gewöhnen wollen, betont Yildirim. Die SPD-Politikerin fühlt sich als „eine von hier“, als Schwetzingerin. „Das ist meine Heimat und hier gehöre ich hin.“ Heute schaffe sie Wohnraum, kaufe Grundstücke und entwickle diese für Familien. „Ich habe es geschafft“, so Yildirim, „ich habe den Teufelskreis der Abhängigkeit von sozialer Herkunft, Bildungserfolg und Zukunftschancen durchbrochen“, sagt sie stolz.

Zwar sind ihre persönlichen Erfahrungen im Allgemeinen gut, aber Rassismus könne sie nicht verdrängen. „Ich habe gelernt, damit umzugehen, meine Kinder lernen es von mir“, erklärt Yildirim. Grob rassistische Beiträge melde sie den Anbietern der Plattformen, die Polizei musste sie bisher noch nicht einschalten.

Nun hat Bayaz als Minister und Berufspolitiker den Vorteil, ein Team aus Pressesprechern und anderen Profis um sich scharen zu können. Viele fremdenfeindliche Kommentare, Briefe und Mails erreichten ihn ja aber trotzdem, so Yildirim. „Das trifft Danyal Bayaz sicherlich auch, vor allem wenn es um seine Familie geht. Das lässt ihn sicher nicht kalt“, glaubt die Schwetzingerin. Sie selbst hat ein kleines, ehrenamtliches Wahlkampfteam, das „hundert Prozent“ hinter ihr stehe. Ihre Kandidatur für den Bundestag sei auch ein Angebot an Menschen, die tagtäglich ausgegrenzt würden. „Ich will die Stimme sein, die lauter ist als die Rufe derer, die uns immer wieder erklären, was wir alles nicht können und wozu wir nicht gehören“, gibt sich Yildirim kämpferisch.

Allgemein müsse Politik mehr auf die Menschen und die persönlichen Geschichten setzen. „So macht man sie nicht nur sichtbar, sondern trägt auch zu einer strukturellen Veränderung bei. Und die ist nötig“, ist Yildirim überzeugt. Vor Kurzem habe sie in einem Döner-Kebab-Lokal in Bad Schönborn in der Küche mit angepackt und die Geschichte der Gastro-Familie auf Social Media erzählt.

Die ehemaligen Gastarbeiter hätten vor 25 Jahren ihr Restaurant eröffnet und seien heute in der Stadt nicht mehr wegzudenken. „Sie gehören zu Bad Schönborn, wie viele andere auch.“ Als Reaktion auf den Beitrag erhielt Yildirim unter anderem einen wütenden Kommentar auf ihrer Facebook-Seite: „Dein Leben findet beim Türken statt. Klasse als Bundestagskandidatin.“ Vielfalt sei aber real, so Yildirim. „Wir wollen die Realität der Menschen auch im Parlament spiegeln.“

RNZ vom 24.7.21